TEXT DER REDE VON PROF. DR. EIMERMACHER, UNIVERSITÄT BOCHUM,
ANLÄSSLICH DER AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG AM 13.04.83 VON ELFRIEDE FULDA
GRIECHENLANDZEICHNUNGEN
Es dürfte wohl immer sehr gewagt sein, von einem Künstler nur einen einzigen, sehr begrenzten Teil seines Schaffens auszustellen. Besonders jedoch dann, wenn es sich – wie bei der Malerin Elfriede Fulda – um einen Schaffensbereich handelt, der in aller Regel zunächst nicht für eine Ausstellung gedacht ist. Hierzu gehören insbesondere Skizzen und Zeichnungen, denn sie haben den Charakter von Notizen als Gedächtnisstützen. Sie entstehen gleichsam unterwegs, sie sind flüchtig, sie sind Momentaufnahmen auch dann, wenn sich der Künstler für ein größeres Tableau mehr Zeit nehmen muss. Zeichnungen sind daher oft Fingerübungen, d.h. Vorarbeiten für kompositorische Überlegungen zum Rhythmus von Linienverläufen, für die Wahl von Ausschnitten oder die Hervorhebung von bestimmten Perspektiven, Objekten und Stimmungen. Gleichzeitig haben die Zeichnungen für den Künstler den Wert dokumentierter, unwiederholbarer emotionaler und kultureller Erfahrungen. Die Weiterverarbeitung derartiger Notizen in ausgereifte Bilder wird daher gewöhnlich nur als Möglichkeit, nicht aber notwendig als Verpflichtung empfunden.
Die Erfahrung ( – eine Erfahrung, die schon viele Künstler machen mussten – ) eines im Vergleich zu unseren Breiten völlig andersartigen Lichtes in Griechenland war nämlich genau der Punkt, wo Elfriede Fuldas Zeichnungen zu Orientierungshilfen auf der Suche nach einer neuen Farblichkeit und nach einem neuen Bildtyp wurden . In diesem Sinne stehen sie am Anfang von ganz neuartigen Ölbildern. Dies klingt wie ein Paradoxon, da Zeichnungen ja lapidar, schemenhaft und schwarz-weiß sind und ihnen die komplexe Vielschichtigkeit von Farben und Formen der Ölbilder fehlt.
Was war passiert? E.F. mußte bei ihrem ersten Griechenlandaufenthalt erleben, dass im Licht Griechenlands nicht nur die vertrauten Farben anders waren, sondern dass auch Weiß und Schwarz farbig wirkten. Die herkömmliche Farbgebung war daher für sie zunächst nicht mehr in der Lage, Farbe als Licht und Licht als Farbe adäquat wiederzugeben. Dieses für einen Maler existentielle Erlebnis, bei dem der sinnliche Eindruck von Farben, aber auch von der Üppigkeit bzw. Kargheit griechischer Vegetation nicht mehr künstlerisch angemessen verarbeitet werden kann, führte bei E.F. zunächst dazu, dass sie sich intuitiv erneut auf zeichnerische Studien zurückzog. Statt mehr oder weniger fertiger Objekte, Formen und Strukturen eines ihr bis dahin sehr vertrauten Erfahrungsraums darzustellen, beginnt sie gleichsam nochmals von vorne.
(…) So stehen nämlich gerade die Griechenlandzeichnungen am Anfang einer für E.F. bedeutsamen neuen Malphase, obwohl die Zeichnungen nachweislich nie direkt in größere Ölbilder umgesetzt worden sind. Sie waren und blieben Notizen, auch wenn von den heute ausgestellten Zeichnungen gesagt werden muß, dass sie eigentlich keine zufälligen „Skizzen“ mehr, sondern in fast allen Fällen ausgereifte Zeichnungen sind. Mit schnellem Stift fängt E.F. die Flüchtigkeit einer Situation, ihrer Atmosphäre und ihrer meist ständig im Wandel begriffenen Veränderlichkeit ein. Dabei muß sie die Fülle der beobachteten Wirklichkeit reduzieren, muss auf Wesentliches vereinfachen. Macht man sich darüber hinaus bewußt, dass die Zeichnungen auf einer der schönsten und historisch interessantesten Inseln Griechenlands, auf Santorin, gemacht wurden, so wird gleichzeitig klar, dass sie nicht nur als Zeichnungen oder als historisches Dokument etwas Besonderes darstellen.
Analysiert man nämlich die von E.F. gewählten Motive, so wird auch noch etwas anderes deutlich. Die Zeichnungen, die z. T. arme Menschen, zufällig auftauchende Typen oder Teile einer mehrere tausend Jahre alten Siedlungsart im vulkanischen Stein Santorins festhalten, entreißen gleichsam dem Fluss der Zeit Teile einer sehr alten, aber auch noch gegenwärtigen Kultur und machen sie zu unserer eigenen. In der dargestellten Ruhe historischer Landschaften und Wohnareale sowie dem Verfall von Häusern und der Flüchtigkeit von Situationen kommt aber nicht nur das Ewige sowie das Vergängliche des Lebens zum Ausdruck, sondern wird auch eine Brücke geschlagen zur Insel selbst.
Sie ist durch einen Vulkan entstanden, aber gleichzeitig auch im Laufe der Jahrtausende immer wieder durch ihn verändert und sogar zerstört worden. Leben und Tod, zwei zentrale Themen im Schaffen E.F. ’s, kommen daher auch in ihren Zeichnungen als indirekte Variationen vor.